Virgilio Masciadri
Virgilio Masciadri (1963-2014), studierte in Zürich Griechisch, Latein, Mittellateinische Philologie und Religionswissenschaften. Er schrieb Lyrik, Musiktheater, Kriminalromane und war Herausgeber der Schweizer Literaturzeitschrift «orte». An der Universität Zürich lehrte er Klassische Philologie und Religionsgeschichte. Seine Dissertation zur antiken Mythologie «Eine Insel im Meer der Geschichten: Untersuchungen zu Mythen aus Lemnos» (Franz Steiner Verlag), festigte seinen Ruf als genialischer Vermittler von Mythen.
Für Virgilio Masciadri war die Lyrik von Anfang an das Wichtigste, seine Leidenschaft, sein eigentlicher Lebensinhalt – und blieb es. Bis ganz zuletzt schrieb er Gedichte, kritzelte Verse in Hefte, immer mehr in die Tiefe gehend, mit höchster Konzentration und Intensität, mit Hingabe und dem Wissen um die Vergänglichkeit. Und er hörte nicht auf, aus den Worten Trost und Hoffnung zu schöpfen, als könnten sie ihn am Leben halten.
Drei Jahre nach dem allzu frühen Tod des Dichters erschien 2017 in der edition bücherlese der Lyrikband «Allee ohne Laub», Gedichte aus dem Nachlass. Es ist ein Geschenk an uns alle, das ihn in seiner Vielseitigkeit und Ganzheit zeigt. Seine Stimme – ganz sicher die literarische – ist dadurch wieder unter uns. «Das Wort, das dir alles bedeutet hat, ist für uns Musik geworden», lautet die Widmung.
Barbara Traber, Schriftstellerin, Bern
Virgilio Masciadri in: Allee ohne Laub, Gedichte aus dem Nachlass, edition bücherlese, Hitzkirch, 2017
Dass Engel seien ist
eine tröstliche Vorstellung etwa
wie auf Reisen im Ausland
eine Telefonnummer zu
wissen wo man jederzeit
anrufen kann / heimischer denken wir uns die Welt wenn wir
nicht allein sind wenn einer
da ist der unsere kleine
Sehnsucht dolmetscht in die
Sprache der Unendlichkeit
und so
lehnen wir bei Sonnen-
untergang am Fenster sehen
zu wie über Wipfeln und Dach-
kanten herabsinkt der
Staub, den im Vorbeigehen
vielleicht eine
gold-
schimmernde Fussohle aufwarf.